Mascha Kaléko fängt in den Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts in Berlin an zu schreiben, ab 1929 veröffentlicht sie in Tageszeitungen, die frühen Gedichte sind pointierte Alltagsskizzen auf Berlinerisch. Sie macht sich einen Namen, verkehrt mit den Großen der Berliner Bohème im Romanischen Café. 1933 erscheint ihr erstes Buch „Das lyrische Stenogrammheft“ und findet gleich großen Anklang. Ihr Erfolg als Literatin bricht mit der Machtübernahme der Nazis jäh ab. Sie darf als Jüdin nicht mehr veröffentlichen. 1938 verlässt sie Berlin, aber die Stadt bleibt ihr fester Bezugspunkt. In einem ihrer letzten Gedichte Bleibtreu heisst die Strasse schreibt sie „Vor 40 Jahren wohnte ich hier […] Hier war mein Glück zuhause. Und meine Not. Hier kam mein Kind zur Welt. Und musste fort. Hier besuchten mich meine Freunde und die Gestapo“, sie schliesst mit der Frage „Was blieb davon? […] eine alte Wunde unvernarbt“
Dota Kehr ist Berlinerin, textet, singt und macht seit 2003 mit ihrer Band DOTA. Inzwischen haben sie 16 Alben aufgenommen und unzählige Touren im In- und Ausland gespielt. Dota trifft den Nerv ihrer Zeit oder gleich mehrere mit ihrer Musik, die hüpft und tanzt, innehält, vom Baggersee-Steg springt, schwimmt und taucht, Bis auf den Grund, was auch der Titel einer ihrer schönsten Songs ist. Sie mixt Folk und Indietronica und lässt hier und da ihre Liebe zur brasilianischen Musik aufblitzen. Ihre Texte berühren durch Unmittelbarkeit, Dota spricht nicht vom Elfenbeinturm, sondern von den Leuten hier und jetzt und ihren kleinen Triumphen und großen Abgründen, ihren Unzulänglichkeiten, sich in Nähe zu versuchen und in Gesellschaft zu bewegen. Sie gewinnt den Fred Jay Preis und den Preis der deutschen Schallplattenkritik, sie schreibt ungewollt kleine Hymnen, Rennrad für alle Liebenden in der Großstadt, Keine Zeit für die Bewegung der Klimaproteste. Sie macht Platte auf Platte, ihren besten Song immer in der Zukunft wähnend, sie erarbeitet sich den Titel hardest touring woman in german showbusiness, spielt mit Band und im Duo mit Jan Rohrbach an der Gitarre.
Auf einem der Konzerte steckt ihr ein Fan ein Büchlein zu, Autorin: Mascha Kaléko. Dota ist begeistert von der Direktheit der Gedichte, der Verknappung der Sprache und fasst den Plan, aus den Texten Musik zu machen. Sie holt die Erlaubnis von Kalékos Nachlassverwalterin ein und fragt befreundete Songwriter*innen, ob sie mitmachen wollen. Alle sind begeistert, und so sind auf dieser Platte von Dota alleine gesungene Lieder, aber auch Duette mit alten und neuen Stimmen der deutschen Musiklandschaft wie Alin Coen, Hannes Wader, Max Prosa und Konstantin Wecker zu hören. Die Platte erscheint 2020 und hält sich 8 Wochen in den Albumcharts, ein Erfolg. Die Tour dazu findet pandemiebedingt erst 2022 statt, wird aber dann vom Publikum um so mehr gefeiert.
Dass Dota die Gedichte Kalékos aufgegriffen und Songs daraus gemacht hat, ist ein Glück. Wie Dota erzählt Kaléko in ihren Texten nicht von Mythen und fernen Sphären, sondern von Menschen, Kaléko spricht von Kassenpatienten und Dota von schwangeren Frauen im Baumarkt. So ist es auch gar nicht verwunderlich, dass es Dota so leicht fiel, diesen verwandten Texten ihre Stimme zu leihen. Dota und ihre Band haben den Gedichten eine zusätzliche Ebene, neue Farben, manchmal auch zum Text in Kontrast gesetzt, gegeben und haben das Kunststück geschafft, dass man, während man die Lieder hört, kein einziges Mal an Lyrik mit musikalischer Begleitung denkt. Dota hat die Texte Mascha Kalékos in unsere Zeit gerettet, noch mehr: sie klingen, als wären sie jetzt geschrieben, in dieser Form.
Und natürlich gab es noch mehr zu entdecken in Gedichtbänden, Essays, vermischten Aufzeichnungen und Tagebucheinträgen Kalékos. Genug für eine zweite Platte, wiederum mit bekannten Mitstreiter*innen. Diesmal sitzt das Kleid der Musik noch besser, die Texte Kalékos bewegen sich darin völlig natürlich und frei, manchmal in klassischer Liedform mit Strophen und Refrain, manchmal eine Zeile sich beschwörend wiederholend, solange bis Jeder und Jede den Satz an seinen und ihren Kühlschrank geheftet hat „Wie schön ist es, allein zu sein“
Seit September 2023 ist DOTA damit auf Tour. Mit dabei: Dota Kehr (Gesang, Gitarre), Janis Görlich (Schlagzeug), Jan Rohrbach (Gitarre), Jonas Hauer (Keyboards), und Wencke Wollny (Gesang, Saxophon, Klarinette) und Antonia Hausmann (Posaune, Gesang) von der Band Karl die Große.
Es werden Lieder von den beiden Kaléko-Alben und einige Stücke mit eigenen Texten zu hören sein. Akustisch, konzertant, mitreißend!