von Ödön von Horváth
Endlich: Ödön von Horváths wunderbare, viel zu selten gespielte, schaurig-schöne Kriminal-Komödie ist nach mehr als einem Vierteljahrhundert in einer neuen Inszenierung auf einer großen Wiener Bühne zu sehen. Regie führt die für Ihre vielschichtigen Porträts von weiblichen Rollen bekannte Anna Bergmann.
Um 1900 wird an den Pariser Ufern der Seine die Leiche einer jungen Frau angeschwemmt. Die Polizei schließt Fremdeinwirkung aus, stattdessen vermutet der Pathologe im Leichenschauhaus freiwilliges Ertrinken – und ist von der Schönheit der Toten so angetan, dass er einen Gipsabdruck ihres sanft lächelnden Gesichts nimmt. Die Totenmaske der „Unbekannten aus der Seine“ wird in Folge zu einem so morbiden wie heißbegehrten Einrichtungsgegenstand im Fin de Siècle. Hundertfach schmückt das friedvolle Antlitz der Toten nun die Salons der europäischen Bohème, inspiriert zahlreiche literarische Werke. Auch Rilke schreibt über das „Gesicht der jungen Ertränkten, das man in der Morgue abnahm, weil es schön war, weil es lächelte, weil es so täuschend lächelte, als wüsste es.“
Ödön von Horváth erfährt 1931 durch eine Berliner Zeitung von dieser luziden Geschichte. Lange trägt er die Idee mit sich herum, eine Art Vorgeschichte dieses Freitodes zu schreiben. Wer war die Unbekannte aus der Seine? Welches Geheimnis trieb sie in die Wellen?
Und so schreibt er sein Drama für „eine große Stadt, durch die ein Fluss fließt“: Der arbeitslose Albert wurde jüngst von seiner großen Liebe, Irene, verlassen. Sie ist nun mit dem rastlosen Emporkömmling Ernst liiert. Um sein neues Leben als Junggeselle zu beginnen, plant Albert mit seinen Ganovenfreunden Nicolo und Silberling ein krummes Ding beim hiesigen Uhrmacher. Die Tat geht schief, aus Einbruch wird Mord. Albert wähnt sich in Sicherheit – doch da ist diese Unbekannte, die ihren Namen nicht verraten will, die vielwissend lächelt, die nichts von sich preisgibt – und die die einzige Augenzeugin des Verbrechens ist. Das Wissen um die Missetat bringt Albert und sie gefährlich nah zusammen
1933 – unmittelbar nach Fertigstellung von GLAUBE LIEBE HOFFNUNG – beginnt Ödön von Horváth mit der Arbeit an diesem Stück, das er später „Komödie“ nennen wird und das doch beinahe all die Rätsel und Ausweglosigkeiten des Film Noir vorwegzunehmen scheint. Erst 1947, neun Jahre nach Horváths Tod, kommt das Stück zur Uraufführung. „Kein Zweifel, , so eine damalige Kritik, „dass das dichterische Wort aufklingt und eine milde, wehe Weisheit in die Abgründe des Lebens blickt.“
Nach KAROLINE UND KASIMIR – NOLI ME TANGERE (2021) widmet sich das Volkstheater erneut dem großen, ewig rätselhaften Erneuerer des Wiener Volksstücks – und bringt dieses selten gespielte Horváth-Drama wieder dorthin, wo es hingehört: auf die große Bühne. Inszenieren wird die Regisseurin Anna Bergmann, deren Arbeiten – gerade auch wegen ihrer vielschichtigen Portraits der weiblichen Rollen – mehrfach ausgezeichnet wurden.