So sind wir nicht. Oder doch? Der Herr Karl ist eine bewährte Navigationshilfe bei der Suche nach der österreichischen Seele. Die Zeiten mögen sich ändern, doch manches bleibt. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" (Bertolt Brecht). Andreas Vitásek präsentiert ein Stück Zeitgeschichte, die OÖ. Concert-Schrammeln begleiten mit originaler Schrammelmusik aus dem alten Wien.
Besetzung:
Andreas Vitásek — Schauspiel
Peter Gillmayr — 1. Violine
Kathrin Lenzenweger — 2. Violine
Andrej Serkov — Schrammelharmonika
Guntram Zauner — Kontragitarre
Der Herr Karl
Kaum ein Stück führte in Österreich zu so heftigen Kontroversen wie „Der Herr Karl“ von Helmut Qualitinger und Carl Merz.
Der Feinkostmagazineur „Herr Karl“, der Antiheld des Stücks, erzählt einem „jungen Menschen“, dem Zuschauer, seine Lebensgeschichte, während er bei der Arbeitszeit im Lager eines Feinkostgeschäftes sitzt. Dabei entpuppt sich der Erzähler zunehmend als opportunistischer Mitläufer aus dem kleinbürgerlichen Milieu, der sich im wechselhaften Gang der österreichischen Geschichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Ende der Besatzungszeit in den 1950er Jahren durchs Leben manövriert hat.
Auf den ersten Blick lässt sich Herr Karl als typischer Wiener, „katholisch“ und „freiheitsliebend“, als ewiger Raunzer charakterisieren. Als repräsentativer Kleinbürger verkörpert er sozusagen die vox populi, die Stimme des Volkes. Äußerlich erscheint Herr Karl als netter, ehrlicher, aber naiver Kerl mit liebem Blick. Doch nach und nach erfährt der Zuschauer von dem Opportunisten, der sich hinter dieser Fassade der Gemütlichkeit verbirgt.
Als im Ständestaat 1934 die klerikalfaschistische Diktatur errichtet wurde, wird Herr Karl, der bis dahin Sozialist war, zu einem Mitläufer der Christlichsozialen. Nach dem „Anschluss Österreichs“ 1938 wechselt er sofort in das politische Lager der Nationalsozialisten. Nach 1945 bemüht er sich, den Besatzungsmächten dienlich zu sein. Herr Karl nutzt jedoch nicht nur die Anpassung seiner politischen Meinung, um Vorteile zu erlangen: Der Egoismus zieht sich durch sein gesamtes Leben. Er selbst schätzt sich als „Mann von Welt“ ein, der Zuschauer lernt ihn aufgrund des Verhaltens gegenüber seinen Mitmenschen als skrupellosen Profiteur, Drückeberger und Anpasser kennen. Seine Kaltherzigkeit erlaubt es ihm, keine Gelegenheit auszulassen, bei der er andere Leute ausnutzen konnte.